» Zappanale #17Zappanale 17 - 2006Blauer Himmel überall. Sonnenstrahlen bohren sich in die Poren. Eine leichte Brise ab und an von der nahen Ostsee. Kaiserwetter zur diesjährigen 17. Zappanale. Es waren bis auf den Samstagabend wohl weniger Gäste, die 2006 das Rock-Festival im Namen Frank Zappas besuchten; weniger Enthusiasmus, ein weniger eklektisches Programm gab es nicht. Womöglich gibt es in Deutschland kein anderes Rock-Festival, das einem so außergewöhnlichen Programm, so eigenwilligen und dabei nicht selten avantgardistischen Bands eine Bühne bietet. Darüber hinaus können sich im Laufe des früheren Tages vor dem eigentlichen Programm Bands vorstellen, die mit Zappa gewiss nichts und dem Klima des Festival wenig am Hut haben, dieses Jahr eine junge Band im Erbe des 70er Brit-Punk, Gothic-Metaller und eine Dresdner Bluesband, die für lau eine Bühne und Publikum hatten. Jedes Jahr aufs Neue muss der Fan die wage Hoffnung tragen, dass das seit Jahren finanziell angeschlagene Festival für das kommende Jahr weitergeführt wird, doch auch in diesem Jahr meinte Wolfhard "Spanien" Kutz - Chef des Unternehmens Zappanale - das Event nicht einstellen zu wollen und eine neue Herausforderung zu wagen. Beschreibung Das Publikum ist nicht mehr das Gleiche wie zu Anfangszeiten. Viele Zappa-Fans sind abgesprungen, konnten es nicht wagen, wieder dabei zu sein. Das Festival ist gewachsen, hat sich verändert, um zu überleben; ihnen fehlt die anfängliche Atmosphäre, das intime Flair oder was auch immer. Gewiss haben eher sie sich verändert und wollen ohne klimatisierte und voll ausgestattete Lebensbedingungen keinen Weg zu ihren kulturellen Identitäten mehr wagen; im Keller unter Kopfhörern reicht ihnen "ihr" Zappa wohl aus - wie auch immer, so mancher ehemalige glühende Fan übt sich im Verteufeln des gesamten Festivals, um nicht preisgeben zu müssen, dass er (oder sie) es ist, die keinen Bock mehr haben oder lieber vorm weiß gestrichenen Zaun in die finanziell gesicherte Zukunft zu schauen. Mensch Leute, Eure Sicherheiten in allen Ehren, drei wundervolle Tage im Jahr verschenkt ihr, ihr Deppen! Es macht einfach Spaß und Laune, sich auf den Festival-Platz zu begeben, den engagierten Bands zu lauschen oder mit Freunden ein Bier zu heben, die Plattenstände zu durchstöbern und sich in langen Gesprächen den einzelnen Parts in Zappas Werk sowie dem Hier und Jetzt zu widmen. OK, ich bin völlig unkritisch, weil das Wohlfühlerlebnis Zappanale - gar völlig ohne Konzerte diverser toller Bands - ein genüssliches Abenteuer und nicht ganz nebenbei der Blick vom Kontostand weg zur kulturellen Identität ist. Eins ist klar, wer nicht dabei ist, verschenkt was, aus welcher Intention auch immer!!! Die Zappanale 2006 bot wieder eine Menge interessanter Konzerte, nebenbei viel Staub, Sonnenbrand und Durst. Auch für viele mittlerweile angegraute und bierbäuchige, aber nicht wenig begeisterte Altfans. Das Programm: eklektisch! Viel Zappa von jungen und alten Musikern, dazu Jazzrock, Avantgarde und Krautrock - angenehmes Menü! Donnerstag gab es trotz der Anwesenheit von George Double-V Bush in Bad Doberan die "warm-up" Party mit Daniel Rohr im städtischen Kamp-Theater, Lex Kemper and Friends auf der Zappanale-Bühne und anschließende Party - alles kostenfrei, bis aufs Bier. Freitag ging es richtig los. So richtig richtig. Corrie van Binsbergen ging solo mit Konservebegleitung (ihre Band ist einfach zu teuer!) auf die Bühne, und brachte ein zwanzigminütiges Programm zum Besten, dass einfach unglaublich war. Die Frau spielt mordsmäßig heavy und schräg Gitarre. Ein grandioser Auftakt, für mich ganz persönlich der Beste aller bisherigen Zappanalen überhaupt! Im Anschluss standen die Berliner Symphonic-Rocker Age auf der Bühne - Vibraphon Part One. Auch sie lieferten ein sehr interessantes, vielseitiges und ausdrucksstarkes Set ab. Elektrische Geige, Saxophon und "normale" Rockbesetzung spielten Rockmusik mit Elan und Dynamik. Epische Songs, Rap und krachender komplexer Progressive Rock gingen von der Bühne gut ins Publikum. Am Freitag spielten zwei tolle Zappa-Coverbands, FZLE aus Dänemark mit einem dynamischen Set und die Zappatistas um den Gitarristen John Etheridge, der einen Tag später mit Soft Machine wieder auf der Bühne stand. Dazwischen spielte das Heavy-Trio TriPod; Schlagzeug, Bass und Saxophon in krachend deftigem Progressive Rock verbunden. Schon mal wahnsinnig gut! Daniel Rohr passt nach meiner Vorstellung besser ins Bad Doberaner Kamptheater, sein Stück "Alles über Frank", so amüsant und witzig es ist, ersetzt kein Rockkonzert, konnte am Freitagabend jedoch die Menge der vor der Bühne gedrängten Fans gut unterhalten. Endlich mal Zappa auf Deutsch, wird sich mancher gedacht haben... Zur guten Nacht gab es altes Material von Jane, die auch einiges Neue spielten, was kein Mensch hören wollte. Party, etwas Schlaf und morgens ein kühles Bad in der heftig stürmenden Ostsee mit hohen Wellen über steinigem Grund. Das Samstag-Programm kam etwas durcheinander, weil Discus es leider wieder einmal nicht geschafft hatten. Auch Indonesien hat Bürokratie, da braucht das alte Deutschland gar nicht so stolz zu sein, die Visa kamen zu spät und der Flieger ging ohne die Band in die Luft... Das Jazzprojekt Hundehütte, Pardon, das Hundeprojekt Jazzhagen (oder so) gab, wie eigentlich jedes Jahr, wieder einmal ein gelungenes Konzert. Jazz, Rock und Zappa mit ausdauernder Gitarrensolo- Krönung, gut wie stets. Danach kamen DOOT, die Resteverwertung von Dr. Dark aus den USA, mit hinreißendem, hartem und schrägem Jazz/Avantrock ganz ohne Beefheart-Anklang. Ausgezeichneter Act, tolles Highlight, hinreißende, erregende Musik, keine Frage, das Trio war große Unterhaltung. Pikantik aus Polen und The Troupe aus Nederlands spielten Zappa, die zweiten "Joe's Garage". Doch zwischen beiden Bands kam ein wandelhaftes Wesen auf die Bühne, dessen Name Soft Machine die Einen abwinken und die Anderen Herzklopfen bekommen ließ. Neben einigen wenigen akademischen Balladen, die in Jazzzirkeln wohl für gelehrtes Kopfnicken gesorgt hätten, ließen die alten Recken es sich nicht nehmen, heftig zu rocken und ein tolles Gebräu zu spielen. John Marshall und Theo Travis (u.a. The Tangent, für den kürzlich verstorbenen Elton Dean) meinten später, dass sie keine Ahnung hätten, was mit der so genannten Canterbury Szene gemeint sei und sie nur die Musik spielen würden, die ihnen Spaß machte. Von außen sieht das ganz anders aus, die Fans standen vor der Bühne und ließen sich gern von altem Kram berieseln. Sind übrigens ganz nette und feine Herren, die erstaunlich gut Englisch sprechen, wenn Theo Travis auch schon mal über seine eigenen Worte stolpert und vom hundertsten ins tausendste kommt, um den Faden schließlich gänzlich zu verlieren. Auf der Bühne war das ganz anders, routiniert übernahm er Elton Deans Part, ganz im eigenen Ansatz, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, die improvisative Musik "auf Elton Dean" zu machen. Die Paul Green School Of Rock Music war auch wieder anwesend. Musikalisch waren die Sachen ganz OK, es fehlte Druck und Dynamik, doch die Kids konnten mitreißen mit ihrer leidenschaftlichen und witzigen Art. Party, Schlafen, Ostsee-Baden, Frühstück - Sonntag und wieder Paul Green School Of Rock Music mit Zappa-Programm. Besseres Konzert als am Vorabend. Die Franzosen Les Polissons folgten mit ihrem Zappa-Programm, das etwas durchwachsen war, aber eine tolle Rockröhre ans Mikro ließ. Zappa-Texte von einer Frau gesungen: die Dame hat Hornhaut auf dem Gemüt und viel Humor. Das darauf folgende Konzert war für mich persönlich das Highlight des Festivals an sich (mein persönlicher Low Point: Jane). Das Ikarische Ensemble gab sein avantgardistisches Programm, heftig komplexen Rock, atonale und elegische Extravaganzen und einen lebhaften Gitarristen. Das Publikum verbarg sich vor den heißen Sonnenstrahlen unter dem riesigen Zirkuszelt, das obligatorisch auf dem Festivalplatz steht, nur ein paar Hanseln lauschten begierig vor der gebratenen Bühne. Ausgezeichnetes Konzert! Adrian Belew folgte, was gibt es da groß zu sagen, der Mann hat es mit seinen letzten beiden Soloalben gezeigt, er ist ein Meister, der neben Engagements bei Zappa und Fripp unnetter Weise auch mal in Popmusik machte (Talking Heads). Good-bye Session mit Dirigent Paul Green und gefüllt war der Zappa-Speicher. Die Meinungen gingen wie immer weit auseinander, wo der Eine in Glut von stand (z.B. Jane), war der Nächste böse gelangweilt. Wenn Les Polissons Begeisterung hier auslöste, hoben die nächsten die Schultern und machten ein verdrießliches Gesicht. Das war wohl mit allen Bands so. Und so soll's sein. Jeder hat Bock auf anderen Sound, und für Jeden ist etwas dabei. Ach übrigens, Conferencier Jim Cohen war gar nicht müde und zeigte sich mit Witz und Charme, bleibt zu wünschen, das Mr. Yellowjacket mal wieder eine ausführliche Textvorstellung von Zappas Werk präsentiert, ausdauernd und detailliert, bitte Jim! An den Abenden war der Platz vor der Bühne schön voll, wenn auch weniger Publikum anwesend war, als im Jahr zuvor. Und doch, das Festival wird weitergeführt. Wäre auch schade, war der Tenor unter einigen Diskutierenden, wenn dieses extravagante kulturelle Erlebnis (!), dieses wundervolle Event an der Ostseeküste einfach verklingen würde. Dann hätten wir nicht mehr die Chance, unverhofft neben Weltstars oder geliebten Underground-Künstlern zu stehen und einfach so ins Gespräch zu kommen. Text: Volkmar Mantei
|